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Letztens habe ich darüber nachgedacht, wie oft ich mir in der Schweiz (v.a. in Bern) überlege, was ich anziehen soll, um rauszugehen und was dies mit sich bringt. Ich schreibe deshalb Schweiz, weil ich mir dies in England (London) bisher kaum überlegt habe. Kaum jemand kümmerte es, wie ich aussah oder rumlief.
Klar ist, dass wir uns je nach Geschlecht, Herkunft, Aussehen oder Aufenthaltsstatus anders im öffentlichen Raum bewegen. Aufgrund dessen, wie Menschen von der Öffentlichkeit klassifiziert oder gelesen werden, suchen sie unterschiedliche Orte zu unterschiedlichen Tageszeiten auf: Einige hängen an Hausecken rum, schlendern locker durch den öffentlichen Raum, während andere konstant versuchen, beschäftigt zu wirken und so ihre Präsenz legitimieren.
Bei mir selbst habe ich gemerkt, dass ich oft so tue, als hätte ich was zu tun. Vor allem an Partys. Ich hab’s schon einige Male ausprobiert alleine auszugehen und musste feststellen, dass ich‘s nur dann feire, wenn ich komplett ignoriere, wie mensch (und vor allem mann) auf mich reagiert. Oft habe ich mich so verhalten, als würde ich noch auf irgendwen warten, als würde noch irgendwer nachkommen, als wäre irgendwo noch irgendwer, die*den ich gerade nicht mehr finde. Viele Frauen entwickeln Strategien wie passende Kleidung oder Körpersprache, um zu zeigen, dass sie ‚respektvolle‘ Frauen bleiben, obwohl sie den öffentlichen Raum vermehrt einnehmen (nicht zu vergessen, dass Frauen, die mehrfach diskriminiert werden zusätzliche Schwierigkeiten im öffentlichen Raum erleben).
Für mich persönlich ist vor allem der Sommer eine Zeit, in der ich mir viel öfters überlege, wie meine äussere Erscheinung auf andere wirkt. Der Sommer ist in europäischen Ländern die Zeit, in der das Leben viel öffentlicher stattfindet als in den anderen Jahreszeiten. Wie die meisten mag auch ich eigentlich den Sommer, er hat jedoch seine Tücken.
Während einem Sommer habe ich in einer Kaffeebar und in einem Restaurant gearbeitet. Bis anhin hatte ich vor allem sexistische Erfahrungen mit Gästen gemacht, jedoch nicht oft mit Mitarbeitern. An den meisten Tagen, an denen ich arbeitete, war es über 30 Grad heiss. Mir war bewusst, dass ich sehr genau auswählen muss, was ich zur Arbeit anziehe, damit mein Schweiss nicht in Strömen fliesst, ich aber gleichzeitig niemanden provoziere. Denn das ist es, was (weibliche) nackte Haut bei vielen (männlichen) Menschen auslöst: Sie fühlen sich provoziert.
Ich wollte auch keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Ich wollte nur arbeiten und mein Geld verdienen. Manchmal habe ich kurze enge Hosen angezogen und ein übergrosses Shirt. Damit habe ich mich glaub am wohlsten gefühlt, da diese Zonen meines Körpers, die am meisten kommentiert werden, verdeckt waren: Mein Rücken und mein Arsch.
Ich habe mir solche Dinge nicht überlegt, weil ich meinen Körper nicht mag. Im Gegenteil, mein ganzes Leben lang fühlte ich mich wohl in meinem Körper, abgesehen von einigen Phasen. Durch den Fussball und durchs Boxen habe ich meinen Körper schon früh zu schätzen gelernt. Ihm habe ich es zu verdanken, so viel Spass damit zu haben, so viel zu erleben, so viel zu empfinden. So viele Leidenschaften verbinde ich mit meinem Körper. Diese ganzen ‚Own-Your-Body‘-Ratschläge nützen mir genau nichts, wenn ich mich im öffentlichen Raum bewege. Ich kann meinen Body sogar ganz fest ownen, und trotzdem stresst es mich an sensiblen Tagen, wie auf meinen Körper reagiert wird. Oder in Situationen, wo ich ganz klar jemandem ‚unterstellt‘ bin.
Als ich in dieser besagten Kaffeebar zu arbeiten begann, sagte mir der etwa 45-jährige Typ, der mich einarbeitete an meinem ca. dritten Tag, ich solle immer so stehen, dass er noch neben mir durchpasse. Er bezog sich auf die Bar, die relativ schmal war. Er zeigte mir, wie ich hinstehen soll, dass ich so meine Hüfte an die Bar pressen müsse. Fair enough. ‚Cha aber schwierig wärde, bi somne Füdli‘, meinte er abschliessend. Ich reagierte komisch, genervt, ‚ha-ha‘, war irgendwie beschämt und verlegen, war aber in einer fucking untergebenen Position, weil ich von diesem Dude lernen musste und ich jeden Morgen mit ihm arbeitete.
Gleiches Unternehmen, anderes Lokal, anderer Anlass: Ich stehe neben einem Mitarbeiter, der eigentlich ganz ok ist, ein bisschen besserwisserisch, aber eigentlich ganz easy. Als ich meinen Pulli ausziehe, worunter ich ein ‚rückenfreies‘ Top trage (Top mit Knoten hinter dem Hals), fragt er, ob ich ab jetzt nur noch mit dem Rücken zu den Gästen stehen könne. No worries, könnte man sagen, aber einfach auch richtig unnötig.
Gleiches Lokal, anderer Tag: Ein Mitarbeiter, der schon von Anfang an bitzli flirty drauf ist, fragt mich aus dem Nichts: ‚Meret, chani di mau öpis frage?‘. ‚Ja, verzeu‘. ‚Wiso hesch du eich immer so ängi Hose an?‘. ‚Was labersch du? Was söu die Frag?‘. ‚I meine… I meins eich nur nätt. I ha dir nur öpis netts wöue säge‘.
Ich weiss nicht mehr, was ich darauf geantwortet habe. Am selben Tag, im selben Outfit (ich trug ‚sommerliche‘, lange Hosen, die zufälligerweise meine Figur betonen) filmt er mich plötzlich beim Abwaschen, von halb unten. Ich frage ihn, weshalb er mich filmt, was er übrigens schon mal getan hat ohne meine Erlaubnis, und dass er es löschen soll. Er antwortet, er filme mich einfach beim Abwaschen, er findet es witzig.
Der Dude wurde dann später entlassen wegen too lazy und slow. Ich habe nichts gesagt, weil ich wusste, der Typ hat Schwierigkeiten mit Jobsuche und im Leben allgemein. Ich hab Rücksicht genommen, wo ich nicht hätte Rücksicht nehmen müssen. Ich wollte es halt allen Recht machen, wollte nicht auch an dem Ort, wo ich nur zwei Monate arbeitete, die Joykillerin sein. Ich hab‘s auch nicht gesagt, weil ich dachte, es würde nichts bringen.
Wie ziehe ich mich also an im Sommer, im öffentlichen Raum? Damit ich mich wohlfühle? Damit meine Weiblichkeit nicht zu sehr betont wird, obwohl ich sie gerne betone? Ich tue es, weil ich selber Freude daran habe, doch was bringt das mit sich? Dass ich mir, wenn ich oben ohne an der Aare (an einem sehr versteckten Ort mit meiner Schwester, natürlich nicht im Marzili oder Lorrainebad) chille, von Dudes auf Gummibooten jegliche Beleidigungen und Kommentare anhören und deren gierige Blicke aushalten muss? Die Dudes haben sich definitiv von meinen Nippeln angesprochen gefühlt.
Anderer Sommertag, andere Szene: Ich chille am Strassenrand irgendwo am Thunersee, an einem Abend nach einem Bootstag, rauche eine Zigi, chille in Adiletten und einem langen Shirt, trage nur einen Tanga drunter. Man sieht aber nichts ausser meine Beine. Ein Auto mit zwei Dudes hält neben mir an, sie schreien irgendwas von wegen hot und sexy. Immer so feige beim Vorbeifahren. Kurz einen Droppen und dann stolz mit neu erlangter Manhood weiterdüsen.
Ich finds ehrlich gesagt einfach opfrig. Ich selbst fühle mich in diesen Momenten nicht als Opfer, ich fühle mich nicht machtlos, weil ich mir selber sage, sie sind die Opfer. Sie sind Losers. Sie sind diejenigen, die sich durch die Blossstellung anderer selbst ermächtigen, was ein Zeichen ist für unglaubliche menschliche Schwäche. Trotzdem nervt es. Es nervt einfach und macht mein Leben anstrengender. Es ist komplett unnötig. Ich finds hässlich, wie solche Dudes durch mich provoziert werden, wie sie sich provozieren lassen. Zeugt für mich von reiner Dummheit und Losrigkeit.
Wie bewege ich mich also im öffentlichen Raum? Durchs Boxen und den Fussball habe ich mich immer besser gefühlt. Irgendwie stärker und deshalb sicherer. Vor allem durchs Boxen. Ich hatte mehr Armmuskeln. Ich fühlte mich im Oberkörper stark, habe im Training mit Männern trainiert, gegen Männer gekämpft. Das Gefühl hat sich in meinen Alltag übertragen. Momentan aber, wo ich mich weniger bewege, eine ‚weiblichere‘ Figur habe, mehr Fleisch an den Knochen, wird mir meine Weiblichkeit zum Verhängnis. Äusserlich und innerlich. Ich will wieder trainieren, um mich wieder stark zu fühlen. Wieder fit aussehen und nicht per se weiblich. Wenn ich eine breitere Hüfte habe, wird gesagt, meine Hüfte mache sich bereit auf eine Geburt. WTF. Haha. Unser Körper verändert sich, natürlicherweise, wenn wir mehr essen und uns weniger bewegen. Hat absolut nichts mit Mutterschaft zu tun.
Wie bewege ich mich im öffentlichen Raum? Wie kann ich chillen, wie kann ich mich aufs Wesentliche konzentrieren? Indem ich mich absichtlich ‚unauffällig‘ anziehe? Möglichst nicht körperbetont, möglichst nicht auffällig, möglichst langweilig? Wir sollten uns eigentlich nicht zurückziehen aus dem öffentlichen Raum. Wenn der öffentliche Raum aber ein so unangenehmer Raum ist, dann ist dies die Konsequenz. Welche Frau fühlt sich wohler im öffentlichen als im privaten Raum? Wie anstrengend ist es, an einem unsicheren Tag rauszugehen und sich all dem zu stellen?
Es gibt Menschen, die sagen, schon nur durch den öffentlichen Raum zu gehen, ihn zu bewandern, dadurch zu schlendern, kann helfen, Entfremdung zu überwinden und sich besser darin zu fühlen. Wir müssen mehr öffentlichen Raum beanspruchen und einfordern, ja. Andere müssen aber auf zurücktreten. Raum lassen. Raum respektieren. Raum geben. Denn es liegt nicht an mir, ich muss nicht an meiner Selbstliebe arbeiten. Es ist immer ein Problem der Überlegenen und nie der Überlebenden.