Als ich mich vor einem Jahr selbstständig gemacht habe, fing ich damit an, mich finanziell zu bilden. Ich
musste mich mit Geldfragen beschäftigen, um als Selbstständige über die Runden zu kommen und meine Kosten in den Monaten mit weniger Aufträgen decken zu können. Es war nötig, mich mit meinem Honorar und meinen Ausgaben auseinanderzusetzen, damit ich meine Büroausstattung, meine digitalen Tools und meinen Lohn bezahlen kann.
So las ich Beiträge und Bücher und machte Kurse zu «Remote Business», nachhaltigem Investieren, passivem Einkommen, Banken, Kreditkarten, Vorsorge und sozialer Sicherheit. Dies tat ich nicht mit dem Ziel, mir ein Vermögen anzusammeln oder Eigentum zu besitzen; vielmehr musste ich mein Geldsystem optimieren, um nicht immer von Monat zu Monat zu leben und mich selbst nicht auszubeuten. Denn Selbstständigkeit kann bedeuten, jahrelang mehr als 100% zu arbeiten und
trotzdem knapp bei Kasse zu sein. Sich finanziell nicht auszukennen, kann zur Folge haben, dass Banken und Kreditkartenunternehmen einen über den Tisch ziehen. Nicht über Geld zu sprechen kann dazu führen, Ungerechtigkeiten unter den Tisch zu kehren.
Ich habe mich die meiste Zeit meines Lebens in linken, antikapitalistischen Kreisen bewegt, und bin in einem mittelständischen Haushalt mit Eltern ohne Eigentum, Besitz, Unternehmen und universitärer Bildung aufgewachsen. Seit jeher identifizierte ich mich vielmehr mit Menschen wie meiner Grossmutter, die Fabrikarbeiterin war, als mit Menschen der besitzenden Klasse. In der linken Szene wurde jedoch kaum über Geld gesprochen, ausser man verteufelte die Reichen. Überlegtes Finanzwissen und Transparenz über das eigene Geld waren jedoch inexistent.
Als ich begann, mich mit finanziellen Themen auseinanderzusetzen, beispielsweise damit, welche Banken nachhaltig investieren (Alternative Bank) und welche ihre dreckigen Geschäfte mit dem Geld ihrer Kund:innen finanzieren (UBS und früher CS), merkte ich, wie politisch dieses Thema ist. Denn wo Geld und Menschen involviert sind, geht es um Politik. Doch je mehr ich über meine neuen Erkenntnisse sprach, desto schneller fiel der Begriff der «Kapitalistin». Was bei solchen Anschuldigungen vergessen geht, ist, dass Menschen ein bestimmtes System verstehen müssen, um sich von dessen Fesseln zu befreien.
Mich ermächtigt es, die Altersvorsorge zu verstehen und mich abzusichern, denn Altersarmut ist weiblich. Ich fühle mich bestärkt, seit ich zwischen guten und schlechten Kreditkartenunternehmen
unterscheiden kann und verstehe, mit welcher Kreditkarte ich welche Vorteile habe. Es fühlt sich befreiend an, zu wissen, dass ich mein Geld nicht auf einer willkürlichen Bank liegen habe, sondern, dass ich mich bewusst für eine entschieden habe, nachdem ich die Vor- und Nachteile verglichen habe. Mich stimmt es nachdenklich, dass so viele Menschen ihr Geld auf Banken horten, obwohl dies weder finanziell sinnvoll noch nachhaltig ist. Wissen ist Macht: Sich finanziell zu bilden, bedeutet, für sich einstehen zu können und sich wichtige Kompetenzen anzueignen, was insbesondere für Frauen und politische Minderheiten von enormer Relevanz ist.
Geld betrifft uns alle und ist historisch ungleich verteilt. Obwohl uns vermittelt wird, wir seien «selbst schuld» und müssten nur unser «money mindset» ändern, wenn wir nicht genügend finanzielle Ressourcen haben, ist dem nicht so. Dazu sagt ToiSmith, Afroamerikanerin und antikapitalistische Unternehmensberaterin, folgendes: «Mit dieser Rhetorik wird versucht, jahrhundertelangen Schaden, Diebstahl und Ausbeutung zu vertuschen, die dazu geführt haben, dass einige von uns nicht über die Mittel verfügen, die für ein gutes Leben erforderlich sind». Dabei bezieht sie sich auf aus Kolonialzeiten vererbten Reichtum in weissen Familien, welcher weissen Menschen bis heute finanzielle Vorteile verschafft. Sie fordert deshalb Vermögens- und Gehalttransparenz, insbesondere von weissen Menschen, die behaupten, für die Befreiung von Schwarzen Menschen und marginalisierten Gemeinschaften einzustehen.
Transparenz ist in vielen Hinsichten ein Weg zu mehr Gerechtigkeit, denn sie ist die Feindin der Ausbeutung. Wenn wir über Geld sprechen, werden beispielsweise geschlechtliche Lohnunterschiede aufgedeckt. Wenn wir unsere Löhne vergleichen, merken wir vielleicht, dass weisse Menschen gegenüber Schwarzen Menschen oder People of Color finanzielle Vorteile geniessen. Bedauerlicherweise ist der offene Austausch über Geld keine Schweizer Tugend. Sowie das Bankgeheimnis die staatlichen Geldmachenschaften unter den Teppich kehrt, missfällt es auch dem «Durchschnittsschweizer», offen über sein Gehalt zu sprechen.
Unser finanzielles Handeln hat einen Einfluss auf uns selbst und auf andere. Wir können mit unserem Geld etwas Gutes bewirken oder aber Ausbeutung (re)produzieren. Antikapitalistisch sein heisst, jegliche Form von Ausbeutung abzulehnen. Dies funktioniert nur dann, wenn wir unser finanzielles Handeln kennen, reflektieren und abwägen, wie wir am wenigsten Schaden verursachen und die kapitalistische Logik durchbrechen können: Wir sind so sozialisiert, immer mehr zu verlangen, immer mehr zu konsumieren und ständig zu wachsen – als wären die zeitlichen, natürlichen und menschlichen Ressourcen unerschöpflich. Doch wir müssen heute anders «geschäften»: antikapitalistisch und antiausbeuterisch.